M. Wallraff u.a. (Hrsg.): Rombilder im deutschsprachigen Protestantismus

Cover
Titel
Rombilder im deutschsprachigen Protestantismus. Begegnungen mit der Stadt im "langen 19. Jahrhundert"


Herausgeber
Wallraff, Martin; Michael, Matheus; Jörg, Lauste
Erschienen
Tübingen 2011: Mohr Siebeck
Anzahl Seiten
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Peter Hersche

Der Band ist das Resultat einer 2009 in Rom stattgefundenen Tagung, die von zwei am Thema interessierten Institutionen getragen wurde: Dem altehrwürdigen Deutschen Historischen Institut und dem neugegründeten protestantischen Melanchthon-Zentrum in Rom. Es geht darin um die reale Begegnung deutscher Protestanten mit der «Hauptstadt» des Katholizismus, der anderen Konfession, und der Bilder, die sie sich davon machten. Seit dem späten 17. Jahrhundert war eine Reise nach Italien ein Muss zunächst für Adlige im Rahmen ihrer Kavaliersreise, später vor allem für das gebildete Bürgertum, das dort die Antike und Renaissance verehrte. Dabei spielte die Konfessionszugehörigkeit keine bremsende Rolle. Zeitlich beschränken sich die Studien mit einigen Freiheiten auf das «lange 19. Jahrhundert», d.h. die Epoche zwischen Revolution (oder genauer Goethes Aufenthalt in Italien) und dem Ersten Weltkrieg. Der erste Teil ist Wissenschaftern gewidmet, darunter den berühmten Historikern Leopold Ranke, Ferdinand Gregorovius und Theodor Mommsen. Ihre Tätigkeit in Rom ist eng mit der damals einsetzenden intensiven Quellenerschliessung verbunden. Im zweiten Teil kommen Theologen zur Sprache, von Johann Gottfried Herder bis zu Dietrich Bonhoeffer. Es folgen Dichter, wobei hier (etwa zu Goethe) wenig Neues zu erfahren ist. Interessant ist allerdings der Beitrag von Golo Maurer, der am Beispiel des 1834 erschienenen Werkes Italien wie es wirklich ist das dadurch erfolgte Umschlagen zu einem negativen Italienbild dokumentiert. Den Band schliessen kunsthistorische Aufsätze ab, die sich einerseits um die Nazarener in Rom ranken, andererseits um die Kapelle der Preussischen Gesandtschaft in Rom, wo seit dem frühen 19. Jahrhundert ein öffentlich zugänglicher protestantischer Gottesdienst im Rahmen einer speziellen «kapitolinischen Liturgie » stattfand. Eine Figur, die immer wieder auftaucht, ist der seit 1823 als Gesandter wirkende vielseitige Wissenschafter Christian Carl Josias von Bunsen; ihm speziell ist der Aufsatz von Martin Wallraff gewidmet.

Die Bilder, welche sich die Protestanten von Rom machten, lassen sich nicht auf einen Nenner bringen und wandelten sich auch mit der Zeit. Die geradezu religiöse Antikenbegeisterung korrespondierte (etwa bei den genannten Historikern) mit scharfer Kritik am zeitgenössischen, in Rom natürlich allgegenwärtigen Katholizismus und dem Kirchenstaat: Noch lange warf der Aufenthalt Luthers in der Ewigen Stadt und seine Kritik seinen Schatten. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts urteilten aber gerade Theologen differenzierter. Ein Beispiel ist der kurzzeitig als Gesandtschaftsprediger wirkende Richard Rothe. Auch ihn stiessen die katholischen Riten ab, doch entwickelte er in Rom Ideen, die später in den Kulturprotestantismus mündeten. Grosses Interesse am römischen Katholizismus zeigte der Jenaer Kirchengeschichtler Karl von Hase, der es insgesamt auf 16 Romaufenthalte brachte. Der Marburger Kirchenhistoriker Ernst Benz suchte in Rom Kontakte mit italienischen Modernisten. Rom hatte somit eine gewisse Bedeutung für die protestantische Identitätsbildung. Andere berühmte protestantische Theologen allerdings äusserten sich überhaupt nicht zum römischen Katholizimus und besuchten Italien als reine Kulturtouristen. Dies gilt wahrscheinlich allgemein für die protestantischen Reisenden des späten 19. und des 20. Jahrhunderts. Seit 1871 war neben dem Papst ausserdem eine andere Macht in Rom immer präsenter: Der liberale italienische Nationalstaat. Die hier aus resultierenden Spannungen werden im vorliegenden Band allerdings kaum berührt.

Der Sammelband ist ein weiterer Beitrag zum unerschöpflichen Thema «Deutsche Italiensehnsucht », bietet darüber hinaus aber auch Diskussionsstoff zum aktuellen Thema der bislang vor allem für die Frühneuzeit untersuchten Konfessionskulturen und bringt für allerlei Fragen reiche Detailinformation. Das beigegebene Personenregister ist nützlich, weil es zwischen den einzelnen Aufsätzen sehr viele Querbezüge gibt.

Zitierweise:
Peter Hersche: Rezension zu: Rombilder im deutschsprachigen Protestantismus. Begegnungen mit der Stadt im «langen 19. Jahrhundert», hg. von Martin Wallraff/ Michael Matheus/Jörg Lauster, unter Mitarbeit von Florian Wöller, Tübingen, Mohr Siebeck, 2011. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 106, 2012, S. 717-718.

Redaktion
Autor(en)
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in
Weitere Informationen